Sommer, Sonne, Hängebacken

Die Vorstellung, im Urlaub am Meer zu liegen, in der Sonne, eine Weinschorle in der Hand, den schon vor Jahren gekauften Sonnenhut auf dem Kopf und dabei auszusehen wie Sophia Thomalla auf Insta – ja, so geht sicher einigen von euch. Und mir. Mit dem Unterschied, dass Sophia weder Kinder, Essen oder einen schwer beschäftigten Mann hat. Was Sophia und ich aber gemeinsam haben, ist die Bereitschaft, die eigene Komfortzone zu verlassen.

Und so kam es vor ein paar Wochen zu einem Urlaub, weit entfernt von meiner Komfortzone, aber mit dem Flieger relativ schnell zu erreichen: Korsika.

Mein erster Flug alleine mit zwei Kindern. Mein erstes Mal auf einem FKK-Campingplatz. Mit meinen Schwiegereltern.

Vor all meinen „großen“ Taten spreche ich mir vorher Mut zu, indem ich Gott und der Welt davon erzähle. So komme ich aus der eigens kreierten Nummer nicht mehr raus. Zumal die Vorstellung auf eine Woche Sonne, Kinderbetreuung und Tapetenwechsel das Ding unkündbar gemacht haben. Und was sind schon knapp zwei Stunden Flug alleine mit den Kindern? Ich meine klar, Corona macht alles komplizierter, aber ich hatte ja einen Inlandsflug gebucht. Die Franzosen sind meistens locker. Alle Passagiere, die nach Korsika fliegen sowieso und zumindest mein Älterer ist ein Schulkind – lief also quasi nebenher, sodass ich mich voll und ganz auf die Halbjährige auf meinem Schoß konzentrieren konnte, die sowieso meistens schlief. Easy.

Schlank gepackt, wohl genährt und mit Vorfreude im Herz ging die Reise abends los. Vorsichtshalber hatte ich alle 1000 Dokumente, die die Airline im Vorfeld versendet hatte, mehrfach ausgedruckt, hinzu natürlich die Testergebnisse trotz Impfung, unser Stammbuch sowie eine Kopie des Schengener Abkommens. Just in Case. Dass ich meine Französischkenntnisse leider gar nicht erst eingepackt habe, wurde mir direkt bei der Gepäckaufgabe bewusst. Ein freundliches Lächeln meinerseits, ein „Oui, merci“ genuschelt, entschuldigend auf das Baby in der Trage zeigend, den Großen an der Hand und den kompletten Stapel aller Dokumente rübergeschoben, wartete ich ganze fünf Minuten, bis wir ohne Koffer weiter im Programm fahren konnten. Als Antwort auf meine Dokumente wurde mir von der freundlichen Dame einfach noch mehr Papier zurückgegeben. Hier wohl das Schengener Abkommen auf Französisch. Komisch waren nur die vielen nicht ausgefüllten freien Stellen.

Einmal alles aus, drauf, durch, an und rein. Schneller Sprengstofftest wegen des Babywassers im Handgepäck und zack standen wir zu dritt am Gate.

Anscheinend war noch Zeit, denn keiner der anderen Passagiere reagierte auf die mir unverständlichen Durchsagen in der französischen Sprache, welche in gewissen Abständen kam. In Frankreich macht man sich gar nicht erst die Mühe auf Englisch zu übersetzen, würde eh keiner verstehen. Also wartete ich mit den beiden Kindern ungeduldig auf Boarding. Wer mich kennt, weiß, dass mein Sechsjähriger geduldiger ist als ich. Und die Halbjährige auch. Die Zeit nutzend warf ich einen Blick auf das Dokument der Dame beim Einchecken. Kurze Panikattacke und eine freundliche Mitreisende später war auch dieses Papier unterschrieben und fertig zum Abgeben.

Endlich im Flieger war die Aufregung groß. Der Ältere am Fenster, die Kleine angekettet auf meinem Schoß, wurden wir unfreundlich vom Schicksal daran erinnert, dass man den Tag nicht vor dem Abend loben sollte und so fing mein Großer an, sich zu übergeben. Aber nicht ein bisschen, oh nein, schwallartig wurde die hektisch gesuchte Tüte gefüllt. Bis oben zum Rand. Ob es daran lag, dass ich in der Eile die Reihen verwechselt hatte, war mir nicht klar. Nur die unfreundliche Familie, welcher es egal war, wer/wann/ob sich jemand auf ihrem Sitz übergeben musste, machte mich laut auf diesen Zustand aufmerksam. Manchmal verstreichen Minuten wie Sekunden und manchmal eben auch Sekunden wie Stunden. Oben in der Luft, den Großen stützend, mit der anderen Hand die Tüte haltend, gleichzeitig auf und ab für das Baby schaukelnd, überraschte es mich nicht, dass die Verdauung der Kleinen sich genau diesen Moment ausgesucht hatte, zu starten.

Irgendwann ist jeder Zustand mal zu Ende. So auch dieser Flug.

In Bastia angekommen wurden wir schon von meinen Schwiegereltern empfangen, welche jeden Sommer auf dieser reizenden Insel verbringen. Mittlerweile in Rente und mit VW Bus ausgestattet.

Sie waren sogar gewappnet für die weiteren Würgeattacken, die uns leider die Fahrt über begleiteten. Als es nachts dann noch vom Gegenpol dazukam, war mein erster Urlaubstag perfekt. Es konnte nur bergauf gehen.

Dann kam der Morgen und mit ihm ein weiterer Schritt ins Neuland. Unser schöner Bungalow stand nämlich nicht nur am Meer, sondern auch auf einem FKK-Gelände.

Wie auf Safari versuchte ich erste Lebewesen zu erspähen. Zwischen den zirpenden Zikaden, den wilden Pinien begab ich mich auf die Pirsch. Und da waren sie. Überall. Nackt beim Spazierengehen, nackt auf dem Weg zum Strand, nackt auf dem Fahrrad. Ohne Scham, zufrieden mit sich. Und dabei weit weg von allen Schönheitsidealen. Mit meinen Schwiegereltern unterwegs zu sein, verstärkte natürlich die anfängliche Hemmung zusätzlich. Zwar kennen wir uns schon viele Jahre, aber eben angezogen.

Augen zu und durch oder besser Augen zu und Hose runter.

Schon war es passiert. Die ersten 30 Minuten etwas gehemmt, dann völlig natürlich. Immer im Kopf: „Ja, ich weiß, ich muss abnehmen… Achtung Bauch einziehen… Ok, ich werde immerhin nahtlos braun… oh mein, Gott, was ist das denn…?“ Die Erkenntnis, dass sich Männer, EGAL wie sie aussehen, immer für attraktiv halten und Frauen, EGAL wie sie aussehen, nicht. Verrückte Welt. Ehrliche Welt. Nackte Welt. Vom eigenen Mut beflügelt war auch das Sandeln mit den Kindern nackt an Strand plötzlich keine Vorstellung mehr, sondern Realität. Während ich mich für unfassbar locker hielt, zeigten mir aber die nackten SUPler, was die Spreu vom Weizen trennt. Ich musste lernen, ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen, während sich nur die Geschlechtsteile auf Augenhöhe befinden. Wer sagt, dass ein Business-Talk mit Fremden nicht auch nackt sein kann. Klar fällt es schwer, sich über die aktuelle Politik adäquat auszutauschen, während man Sand zwischen den Pobacken hat. Alles ist möglich und machbar. Und irgendwie so befreiend. Und irgendwie so ehrlich. Hier gibt es nicht die Möglichkeit mit figurschmeichelnden Farben/Stoffen/Formen zu arbeiten. Wir sind alle gleich. Wir haben alle eine Geschichte und diese sieht man oft auf dem Körper. Als hätte ich nie etwas anderes gemacht, bewegte ich mich eine Woche max. mit einem Tuch zum Einkaufen begleitet. Abends im Restaurant zogen wir uns natürlich auch an. Nur um direkt hinterher wieder alle Hüllen fallen zu lassen. Ich habe mich ziemlich schnell an den Umstand gewöhnt und auch die anfängliche Hemmung vor meinen Schwiegereltern war schnell vergessen. Nackt sein verbindet. Man ist schneller am Menschen. Vorurteile werden auf einer anderen Ebene gespielt.

Das befreiende Gefühl, morgens nackt im Meer zu sein, die Hemmung fallen zu lassen und den Bauch nicht mehr einzuziehen, sich mit allem zu akzeptieren, das sind für mich tatsächlich die großen Learnings des einwöchigen Ausflugs in eine wahrlich andere Welt. Wesentlich wichtiger als welche Dokumente brauche ich für einen Inlandsflug in Coronazeiten. Die dann keiner sehen will.

Am Ende bleibt mir nur ein lautes: Macht euch nackig!

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